Genussvolle Landgeschichte(n): Das Wehrkirchenspiel

Auf den zweiten Blick: Wehrkirchendokumentation Edlitz

Folke Tegetthoff erzählt über die bewegte Vergangenheit in der Buckligen Welt und die bedeutende Rolle der Wehrkirchen.

Der Gemeindearbeiter R. hatte seinem Freund Elvis zu dessen 14. Geburtstag ein besonderes Geschenk gemacht: Er werde, versprach er, mit ihm und dem „Genussvollen Blick“ alle 18 Wehrkirchen besuchen, die es in der Buckligen Welt gibt. Wer nun glaubt, ein 14-Jähriger würde lieber 18 Fahrgeschäfte im Prater oder 18 Mal ins Kino nach Wiener Neustadt fahren, der irrt: Der beiden große Liebe galt (seit einem gemeinsamen Erlebnis mit einer solchen Kirche vor zirka sechs Jahren) … Wehrkirchen!

„Als Erstes fahren wir nach Edlitz“, sagt Herr R., „zum heiligen Veit und ins Museum über Wehrkirchen!“

Als sie dort ankommen und Herr R. schon die Hand auf der Tür zum Museum hat, sagt Elvis, er müsse jetzt gleich in die Kirche, weil dort schon jemand warte. „Was fantasierst denn da“, lacht Herr R., „wer soll denn dort auf uns warten? Weiß ja keiner, dass wir da sind!“

Elvis öffnet das schwere Tor ins Hauptschiff. Kaum sind sie drinnen und hat sie die Stille des  hohen, großen Kirchenraumes aus schweren Steinen umfangen, fliegen das Tor und die Seitentüren auf, und Frauen und Männer, Kinder und Alte in altertümlichen Kleidern stürmen in das Gotteshaus, ein jeder mit ein paar Habseligkeiten in der Hand. Grad noch können die Edlitzer die Türen verrammeln, als draußen schon ein Mordsradau zu hören ist. Reiter galoppieren daher, springen von ihren Rössern und trommeln mit Eisenfäusten gegen die Tore. Sogar Schüsse sind zu hören. „Hört das denn nie auf?“, stöhnen die armen Leute und beginnen zum heiligen Veit zu beten, dass er sie auch dieses Mal beschützen möge.

Da rennt Elvis los, zu den Glocken, fünf an der Zahl sind es, und lässt sie läuten, als würden sie zur Sonntagsmesse rufen. So laut und durchdringend klingt das Glockenspiel, dass die wilden Mannsbilder erschrocken auf ihre Pferde springen und davonsprengen.

Jubelnd verlassen die Edlitzer ihr Gotteshaus, danken ihrem Heiligen, dass er wegen ihrer Gebete die Glocken hat dröhnen lassen.

„Jetzt zeig ich dir den Gusserker!“, ruft Elvis und zieht seinen Freund mit sich. „Durch seine Schießscharten können wir alles beobachten!“

„Wieso kennst dich denn da aus?“, schnauft Herr R. und kann dem Jungen kaum folgen. „Warst schon mal da?“

Aber Elvis hat keine Zeit für Antworten, denn in der Pechnase, wie man diese Erker auch nennt, wartet schon der Pfarrer Georg. Der deutet, sie mögen leise sein, und zeigt in den Wehrkirchenhof. Dort stehen schon wieder seltsam gekleidete Männer, sieben sind es dieses Mal, neben ihren Pferden. „Sind das Türken?“, stammelt der arme Herr R. „Nein, Kuruzzen, aus dem Ungarischen!“ Immer wieder schlagen die Männer mit ihren Eisenfäusten gegen das Tor, dass dem Herrn R. ganz anders wird.

„Wegen mir sind die Kuruzzen da“, sagt der Pfarrer, „verschleppen wollen’s mich! Die kommen immer wieder, so lange, bis sie mich haben! Ich muss mich verstecken, unten im Kirchenboden ist eine Zisterne, da werden sie mich nicht finden. Aber ihr bleibt besser da!“

Neugierig, was wohl mit dem Herrn Pfarrer geschieht, laufen Herr R. und Elvis hinunter in das fast quadratische Kirchenschiff, als sie mit einem Mal Musik und lautes heiliges Singen hören. Durch die Fenster sehen sie, wie in einer Prozession der Pfarrer Georg Hayden, der ja gerade eben erst im Kirchenboden verschwunden ist, durch das Tor in den Hof geführt wird. Und wie er von seiner Verschleppung erzählt: Sechs Wochen sei er im Ungarischen gefangen gewesen, in einer Hütte, durchgebetet habe er, bis die Ungläubigen es nicht mehr aushielten und ihn frei ließen. Plötzlich deutet Herr R. auf die weißen Wände des Altarraumes, auf denen wie von Zauberhand mit einem Mal Fresken erscheinen. „Cool, was?“, sagt Elvis, als wäre dieses Kunststück das Normalste der Welt. „Die hat der Pfarrer gespendet, als Dank für seine Rettung!“

Herr R. starrt seinen jungen Freund lange an, als wäre Elvis nicht wirklich, sondern ein Gespenst. Dann sagt er, er verstehe die Welt nicht mehr, und dass sie jetzt besser nach Hause fahren sollten, er müsse sich dringend hinlegen. Als er das schwere Tor hinter sich zuzieht, fährt er vorsichtig mit seiner Hand über das Holz, als würde er etwas erspüren wollen … vielleicht Abdrücke von Eisenfäusten.

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